Ankunft einer Ortskraft / Teil 2

Fortsetzung von “Ankunft einer Ortskraft”, wir berichteten hier: omasgegenrechts-owl.de/ankunft-einer-ortskraft/

Und so geht es weiter …

Willkommen in Deutschland. 

Seit drei Wochen ist unser afghanischer Freund nun hier. Wir haben viel gelacht und viel gelernt. Himmel und Hölle liegen so dicht beieinander.

Fürs Impfen mussten wir in einen 40 Kilometer entfernten Ort fahren, denn anderswo gab es nicht einmal mehr die Chance, sich in der Schlange vor den Impfbussen anzustellen. Und (noch) ohne Krankenkasse kann man sich eben nicht überall impfen lassen.

Außerdem mussten 10 Millionen Papiere ausgefüllt und unzählige Unterschriften geleistet werden. Zwischenzeitlich haben wir den Papierkram mit Computerspielen verglichen … “You’ve reached level 10. Mission not accomplished yet.”

Beim Zusammenstellen der Unterlagen für das Jobcenter zeigte uns Herr H. stolz seine Unterlagen und Empfehlungsschreiben. Seinen Universitäts-Abschluss als Bachelor of Arts. Seine Urkunden vom Mediencenter. Seine Nachweise, dass er neben dem Studium als Englisch-Lehrer an einem Computerinstitut gearbeitet hatte. Fotos von Freunden und Kollegen. Bis vor wenigen Tagen war er ein selbstbestimmter, selbstbewusster junger Mann gewesen, mit einem bunten Leben und gutem Ansehen. Studierter Politologe, Journalist. Communication Officer. Jetzt war er ein weiterer “Niemand” in der Datenbanken der Behörden.

Vollmachten, Konto-Eröffnung, Jobcenter, Krankenkasse, Ausländerbehörde … alles mussten wir kopieren, schreiben, zusammenstellen. Der normale Wahnsinn. Der Drucker lief heiß, denn nicht überall genügt es, die Unterlagen per eMail zu schicken. Natürlich kann man das auch handschriftlich einreichen. Sicher. Wenn man bisher in einer anderen Sprache geschrieben hat, ist das ja auch total einfach. Nicht.

Wie sowas alles gehen soll, wenn jemand nur mit einer Tasche und einem Handy hier ankommt, ist uns ein Rätsel. Und wenn nochmal irgendwer pöbelt, dass “die ja alle Handys haben!“, dann gibt’s eine gepfefferte Ansage.

Ja natürlich haben “die” ein Handy. Wenn sie Glück haben. Und das haben sie meistens sogar mitgebracht (wenn es nicht im Mittelmeer versunken ist), denn es ist ihre einzige Option zu kommunizieren, ihr blau-braunen Dummschwätzer.

Kommunizieren ist überhaupt ein gutes Stichwort, denn zwischen Deutsch, Englisch und Persisch gibt es oft wunderbare “Patzer”:

    • 🙂 A Bambi …
      Wir bogen spätabends mit dem Auto in die Strasse zum Wohnheim ein. Das Wohnheim liegt etwas abseits, es war stockdunkel und die Strasse führt durch ein kleines Waldstück. Im Scheinwerferlicht erschien ein kleines Reh und blieb leicht verstört stehen. Unser spontaner Ausruf: “Look, it’s a Bambi!” Ja, nee, ist klar. Herr H. fragte zögerlich “… ahm … what?” – Wir klopften uns an die Stirn … “Sorry, a young deer …”
      .
    • 🙂 “2G” – oder: too gay …
      Die Corona-Eintritts-Regel für “Genesen oder Geimpft” ist auch klasse, wenn man “two G” nicht ganz sauber, sondern in “D-Englisch” ausspricht, also quasi “Tuu Geeh”. Sowas führte dann zu vorsichtigen Rückfragen, warum ein Restaurant angeblich “too gay” sei … und wieso das “gay” in Deutschland mit der zweiten Impfung zusammenhängt. Wir lachen immer noch darüber.

Corona ist wirklich ein Problem, denn vieles verzögert sich dadurch und die wichtigen persönlichen Kontakte, die in der ersten Zeit geknüpft werden müssen, werden dadurch natürlich extrem erschwert. Genau diese Kontakte sind aber wichtig, um die ohnehin schon traumatisierten Ankömmlinge nicht in ein persönliches “Loch” fallen zu lassen. Wir alle brauchen eine Umgebung, in der wir uns austauschen und ankommen können. Das ist schwer in Corona-Zeiten. Wir versuchen alles, um dem ein wenig entgegenzuwirken, und auch unsere Freunde helfen hervorragend mit – und sei es “nur” mit einem Spaziergang oder einem Imbiss an der Pommesbude oder am Dönerladen, um einfach etwas Kommunikation und Freude zu haben.

Normalerweise sind gemeinsames Kochen und Gesellschaftsspiele immer gute erste Schritte, auch beim Sprachenlernen. Aber das geht in Coronazeiten eben nur sehr begrenzt. Und auch darum ist das Handy so wichtig, denn hier sind zumindest Whatsapp und andere Messenger ein kleiner Ersatz.

“Sprache” werden wir in der nächsten Woche gezielter angehen, d.h. einen Deutschkurs finden und in der Bücherei nach entsprechenden Materialien schauen. Herr H. hat schon angefangen, mit Sprachapps und YouTube zu arbeiten. Im Wohnheim lagen einige Lehrbücher aus und er trainiert viel mit seinem “Wohnheim-Kumpel”, der schon etwas länger hier ist und schon recht gut Deutsch spricht.

Behördliche Schritte: “Laufzettel”

Wir führen hier gern nochmal auf, was die wichtigsten Schritte sind und in welcher Reihenfolge diese durchlaufen werden müssen, denn wir wissen auch von anderen Helfenden in ganz Deutschland, dass der Austausch hierüber wichtig und wertvoll ist. Hier also unsere “Laufliste”, die wir in den letzten Tagen abgearbeitet haben:

1. Rathaus: Anmeldung und Versorgung mit Unterkunft
An dieser Stelle sofort erklären (ist wichtig für die Ankommenden):

a) Bis die ID Karte mit der Aufenthaltsgenehmigung ausgestellt ist, muss die Meldebestätigung aus dem Rathaus immer zusammen mit Pass und Visum mitgeführt werden, selbst wenn man nur spazieren geht. Auch alle Corona-Unterlagen (Test- oder Impfnachweise) muss man aktuell immer bei sich haben.
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b) sämtliche Informationen und Papiere immer mit dem Handy fotografieren (und sofort prüfen, ob das Bild scharf und lesbar ist)
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c) Profi-Version, für die, die es können: eine gemeinsame Cloud einrichten, über die die Unterlagen und Fotos gesichert und ausgetauscht werden können.

2. Konto eröffnen: Das ist wichtig, damit die Leistungen vom Jobcenter ausgezahlt werden können. Das Jobcenter zahlt auch per Scheck, wenn kein Konto vorhanden ist, aber das ist sehr umständlich. Also einfach einen Termin bei der Bank machen, in unserem Fall war es die Sparkasse. Pass, Visum und Meldebescheinigung genügen zur Kontoeröffnung.

3. Jobcenter: Anmeldung und Leistungen beantragen. Daraufhin bekommt man eine Tonne Papier, die auszufüllen ist. Auf der ersten Seite steht dann bereits die Jobcenter-Nummer. Diese ist wichtig für die Krankenkasse (siehe 6.). Mit dem Jobcenter ist auch zu klären, ob die Anmeldung bei einer Krankenkasse automatisch erfolgt (also via Datenübermittlung), oder ob die Anmeldung selbst vorzunehmen ist. Das wird regional unterschiedlich gehandhabt.

4. Für die Unterkunft stellt die Stadt / Gemeinde eine Rechnung aus. Sobald diese angekommen ist (also quasi eine “Miet-Bescheinigung”), direkt an das Jobcenter weitergeben. Wir hatten das Glück, dass diese Rechnung sehr schnell vorlag und alles komplett eingereicht werden konnte.

5. Ausländerbehörde / BAMF: sofort nach der Anmeldung im Rathaus den Antrag auf Verlängerung des §22 Aufenthalts stellen (hierzu Kopien von Pass, Visum und Meldebestätigung mitsenden). Meistens muss die Behörde noch warten, bis die Daten aus dem Rathaus übertragen worden sind, aber der Antrag kann trotzdem schon per eMail oder Brief gestellt werden.

Achtung: wer ein Visum nach §22 besitzt, hat bereits einen anerkannten Schutzstatus, es geht also “nur” um die Verlängerung der drei Monate (die mit dem Visum bereits garantiert werden) für aktuell zunächst weitere 3 Jahre. Es darf kein Asylantrag gestellt werden – das würde den Sonderstatus sofort aufheben.

6. Krankenkasse: vom Jobcenter bekommt man direkt nach der Anmeldung eine persönliche “Kunden-Nummer” mitgeteilt. Falls die Anmeldung bei der Krankenkasse nicht bereits direkt vom Jobcenter aus erfolgt (s. oben, vorab klären), dann kann man das mit dieser Nummer selbst tun.

Sobald die Bestätigung von der Krankenkasse dann eingegangen ist, muss diese sofort ebenfalls an das Jobcenter übermittelt werden. So kann das Jobcenter die Daten korrekt erfassen.

Die Wahl der Krankenkasse ist regional unterschiedlich, da in den einzelnen Bundesländer und Gemeinden unterschiedliche Vertragsmodelle gelten. Mancherorts ist eine bestimmte Kasse vorgeschrieben, in anderen Regionen / Gemeinden darf frei gewählt werden. Das kann das Jobcenter oder das örtliche Sozialamt beantworten. In unserem Fall ist es die AOK.

Wichtig zu wissen: auch ohne Krankenkassenkarte besteht bereits ein gewisser Anspruch auf gesundheitliche Grundversorgung. Im Einzelfall an das Sozialamt oder für mehr Informationen auch einfach an die Verbraucherzentrale wenden. Nicht abwimmeln lassen, sondern auf die entsprechenden Paragraphen verweisen bzw. bei Ablehnung nach der rechtlichen Begründung fragen (denn es gibt keine, meistens ist es nur ein Missverständnis oder eine Fehlinformation). Einen guten Überblick zur Vorbereitung haben wir hier gefunden: verbraucherzentrale.de/wissen/gesundheit-pflege/aerzte-und-kliniken/medizinische-versorgung-von-asylbewerbern-12312

7. Zum Sprachkurs anmelden: das steht bei uns in der nächsten Woche an, wir werden dann gelegentlich wieder berichten.

8. Geld. Eine echte Herausforderung ist die Finanzierung, bis der Jobcenter-Antrag fertig ist. Natürlich ist ein Abschlag irgendwie zu bekommen, aber: Das Rathaus sagt, wir sollen beim Jobcenter fragen, das Jobcenter sagt, wir sollen beim Rathaus fragen … es ist so mühselig.

Im Moment haben wir mit persönlichen Leihgaben und Spenden ausgeholfen, aber auch hierfür müssen wir in der nächsten Woche eine bessere Lösung finden. Dabei werden wir uns an diesem Artikel orientieren: gegen-hartz.de/news/hartz-iv-recht-auf-alg-ii-vorschuesse

Das ist soweit der aktuelle Stand. Wir werden gelegentlich weiter berichten und hoffen somit, auch anderen Helfenden einen kleinen “roten Faden” bieten zu können.

Es gibt natürlich noch vieles andere zu organisieren: Kleidung, Möbel usw.  – an dieser Stelle vielen Dank an unsere Arbeitsgruppe für die warme Jacke!

Aber nicht alles muss man selbst regeln. Holt Euch unbedingt Hilfe, vernetzt Euch und fragt am besten bei den örtlichen Stellen der Sozialverbände oder im Rathaus / Sozialamt nach, denn es gibt inzwischen viele Möglichkeiten und Angebote. Auch regionale Facebook- oder Messenger-Gruppen können ein echter Segen sein – für direkte Hilfe oder den Austausch von Tipps.

Soweit erstmal, alles Gute und bleibt gesund!

Herzlichst, Sandra Schöngeist
OMAS GEGEN RECHTS OWL

P.S. Dieser Artikel und weitere Informationen zur Afghanistan-Aktion sind auch auf der Webseite der OMAS GEGEN RECHTS NORD erschienen.